Dorfkapelle
Fritz W. Franzmeyer
Die Dorfkapelle
Die Aulhauser hatten ihre Aue, die Barkhauser den fruchtbaren Lößboden. Der war allerdings auf den recht schmalen Streifen zwischen Berg und moorigem Grund nördlich des „niederen Feldes“ beschränkt. Barkhausen mit seiner größeren Zahl von Höfen musste deshalb weit an den Rand des Berges vorrücken, um genügend Ackerland zur Verfügung zu haben. Es nahm dafür in Kauf, dass sich nach Gewittern und Schneeschmelze die Wege des Ortes zu Betten von Sturzbächen verwandelten. Der Kapellenweg war noch bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Art Hohlweg. Nur der Dorfanger lag erhöht auf einer Sandablagerung und war vor den häufigen Fluten geschützt. Auf ihm wurde die alte Kapelle errichtet. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich hier Jahrhunderte zuvor der Gerichtsplatz befand.
Warum die Barkhauser Dorfkapelle errichtet wurde, ist auf dieser Webseite unter “Wie die Barkhauser Dorfkapelle entstand” nachzulesen. Die Wahl des Standortes wird mit dessen ortsgeschichtlicher Vergangenheit und der zentralen, erhöhten Lage inmitten eines Gewirrs von Dorfgassen zu tun haben, das heute nur noch zu ahnen ist. Wann sie entstand, ist nicht genaue bekannt und war lange umstritten. Das Denkmalamt taxiert sie auf Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, etwa zwischen 1530 und 1550. Mit Sicherheit gab es eine zweite Bau- oder Umbauphase um 1640. Da wurde z. B. die von außen über eine Treppe zugängliche Empore eingebaut. Auch wurde ein achteckiger, schiefergedeckter Glockenturm mit kleinen Schallöffnungen aufgesetzt, der oben in eine Spitze ausläuft.
Die Kapelle wurde ein schlichtes, mit ihren hoch gelegenen Fenstern wehrhaft anmutendes Bauwerk aus Porta-Sandstein. Leider wurde die alte Glocke 1942 zu Kriegszwecken eingeschmolzen. Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts drohte das Gebäude mehr und mehr zu verfallen, wurde aber 1927/28 grundlegend restauriert und feierlich neu geweiht.
Zu einem heute nicht mehr bekannten Zeitpunkt stattete man die Kapelle mit einem großen Altargemälde in Öl aus, das die Beschneidung Jesu zeigte und künstlerisch wertvoll gewesen sein soll. Besonders der Kopf des Hohenpriesters Simeon soll sehr ausdrucksstark gewesen sein. Dieses Bild wurde 1821 ans Mindener Marienstift verkauft. Leider ist dort nichts mehr über den Verbleib bekannt. Doch auch der noch vorhandene, geschnitzte spätgotische Flügelaltar ist ein wertvolles Kunstwerk. Das verwitterte Mittelstück musste allerdings im Jahre 1955 neu nachgeschnitzt werden. Außer diesem Altar enthält die Kapelle noch wertvolle alte Inschriften an den Balken der Empore.
Neben ihrer genauen Entstehungszeit gibt unsere Dorfkappe dem Besucher, der sie von außen betrachtet, noch ein paar weitere Rätsel auf. Da ist zunächst die Inschrift auf einer Steinplatte auf dem kleinen Friedhof an der Kapelle. Sie zeugt von der Tragödie, die einem jungen schwedischen Offizier und Edelmann mit seiner jungen Frau hier in der Fremde widerfuhr, wohin ihn der Dreißigjährige Krieg verschlagen hatte. Es ist eine Grabsteininschrift. Kann man sie in ihrem von Wind und Wetter ramponierten Zustand überhaupt entziffern, so erfährt man, dass Anfang Dezember 1639 “die hochedelgeborene großehrende tugendreiche Anna von Pless des hochedelgeborenen und strengen Herrn Wilhelm OG S königl. Majest. zu Sweden hochbestalter Obersten liebliche Hausfrau sanft und selig im Herrn entschlafen ihres Alters im 20 Jahr”. Offenbar hatte sie die Geburt ihres Sohnes nicht überlebt, ebenso wie dieser Sohn selber.
Wer nun meint, Frau und Sohn des Obristen seien unter dem Stein begraben, der irrt. Denn einen Friedhof unmittelbar an der Kapelle hat es zwar gegeben, doch über die dort befindlichen Gräber ist nichts mehr bekannt. Vielmehr wurden von woanders her eine ganze Reihe für erhaltenswert angesehener Grabsteine hierher umgesetzt, vor allem, nachdem 1939 ein alter Friedhof am Kapellenweg aufgelassen worden war. Die “Schwedenplatte” wurde erst in den 1970er Jahren bei der Aushebung der Baugrube für ein Wohnhaus ausgebuddelt. Es handelt sich also um einen in seinem äußeren Erscheinungsbild zwar malerischen und romantischen, aber nicht authentischen Gottesacker.
Lässt sich das hinter den Steinen stehende ortsgeschichtliche und private Geschehen noch weitgehend aus den Inschriften nachvollziehen, so geben andere Spuren menschlicher Eingriffe in die Bausubstanz der Kapelle ein echtes Rätsel auf. Es handelt sich um tiefe, senkrechte Schleifscharten in allen vier hüfthohen Eckquadern der sandsteinernen Außenmauern, besonders eindrucksvoll an der Südostecke.
Wer hat sie dort eingeschliffen? Und zu welchem Zweck? Urkunden darüber gibt es nicht. Also sucht man nach Vergleichbarem. Fündig wird man in ganz Deutschland und Österreich, ja in halb Europa. Und das nicht nur an Kirchen und Kapellen, sondern auch an Rathäusern – wie in Minden an der Rathauslaube -, an Brücken Stadttoren und anderen Profanbauten, z. B. Prangern. Aber als Erklärung findet man nur anekdotische Evidenz. Der ehemalige hessische Landeskonservator Gottfried Kiesow hat einiges zusammengetragen. Haben hier die heimischen Bauern mangels eigener Schleifsteine ihre Sensen, Äxte und Spaten geschliffen? So etwas ist für die Melsunger Brücke über die Fulda verbürgt. Doch an der Porta gab es Sandstein genug. “Segneten” hier Krieger vor Feldzügen ihre Waffen? So viele adlige Wehrdienstleistende gab es bei uns nicht. Wurden im Gegenteil die Waffen vor dem friedfertigen Kirchgang symbolisch stumpfe gemacht? Aus gleichem Grunde unplausibel. Wurde mit dem Steinmehl, vermischt mit “medizinischen” Tinkturen, der “böse Blick” gebannt oder gar eine Hexe unschädlich gemacht? Das wäre im 17. Jahrhundert nicht unwahrscheinlich gewesen – im Lande eines Dr. Eisenbarth, eines Rattenfängers von Hameln, eines Hexenbürgermeisters von Lemgo und einer Universität Rinteln, die Beweisurkunden über Hexerei ausfertigte. Auch für Barkhausen ist für das Jahr 1651 eine Hexenverbrennung an der Weser nachgewiesen. Oder ging es harmloser zu? Wurde vielleicht durch Funkenschlag in den Schleifrillen rituell das Osterfeuer entzündet und per Fackel zum Holzstapel auf dem Feld gebracht? Auch das schließen die Osterbräuche in unserer Gegend nicht aus. Lauter Fragen und keine eindeutigen Antworten. Vermutlich müssten sie je nach Örtlichkeit verschieden ausfallen. Dem geneigten Leser sei es überlassen, für Barkhausen das Passende herauszufinden.
Wir wollen uns deshalb von diesem Phänomen an der Kapelle ab- und einem anderen zuwenden. Denn das ist nur auf den ersten Blick rätselhaft. Es geht um ein verrostetes, rundes Gusseisenstück von etwa zehn Zentimeter Durchmesser, mit vorstehendem Wulstring. Nur wenige Zentimeter ragt das Ganze am Ostende der Nordwand in Kniehöhe aus einem Sandsteinblock hervor. Erst die nähere Betrachtung lässt erkennen, dass es sich nicht etwa um das Verschlussstück eines abgeklemmten Wasserrohres handelt. Reste einer verrotteten Inschrift am Wulst liefern Anhaltspunkte, daran anknüpfende von Rolf Graff für das Mindener Tageblatt durchgeführte Internetrecherchen die Erklärung: Dies ist ein markierter Höhenpunkt für die sogenannte “nivellitische Landvermessung” in der königlich-preußischen Provinz Westfalen, die zwischen 1815 und 1918 bestand. Das zwischen 1819 und 1834 mithilfe trigonometrischer Punkte erstellte “Urkataster”, auf dem das Grundsteuergesetz von 1839 beruht, sowie anschließende Kartenwerke hatten das Höhenrelief der Landschaft noch liefern können. Nivellementpunkte wurden erst nach 1871 angelegt und mit den trigonometrischen Flächenpunkten verknüpft. Dies entsprach den Bedürfnissen der Industrie und der Verkehrsinfrastrukturplanung. Die Technikentwicklung ist über den Bedarf an solchen “Bolzen” der Höhenmessung natürlich längst hinweg gegangen..
Fast allerorten verbergen sich in alten Bauwerken kleine Rätsel und Besonderheiten. Sie aufzudecken, möge auch bei uns dazu beitragen, die wenigen baulichen Juwelen, über die unser ehemaliges Dorf noch verfügt, dem geschichtsbewussten Heimatfreunde umso schätzens- und erhaltenswerter erscheinen zu lassen.
"Wie die Barkhauser Dorfkapelle entstand"
ein Bericht von Fritz W. Franzmeyer, nachzulesen unter diesem Link