Schwungseil

Fritz W. Franzmeyer

Schwungseil

Eines Tages – ich hatte zu Hause zu tun – kam die ganze Rasselbande aus dem Fährstraßenbereich aufgeregt zu uns auf den Hof gerauscht: „Du musst sofort mitkommen! Wir haben ein phantastisches Schwungseil entdeckt, mit dem kann man weit durch die Luft fliegen!“. Weg waren sie wieder, und ich wie wild hinterher. Ziel war Schwartzen Platz. Dort stand ein Leitungsmast aus Beton, und von dem hing in der Tat bis auf Brusthöhe ein dickes Drahtseil herab. Einer machte es ansatzweise vor, wie man sich in die Lüfte schwang, und ich es dann begeistert und mit vollem Einsatz nach. Die Freunde halfen obendrein und gaben mir zusätzlichen Schwung. Dabei geschah es dann. 

Als das Seil einen bestimmten Winkel erreichte, berührte es oben eine stromführende Leitung von was weiß ich wieviel Volt. Der Schlag war jedenfalls gewaltig, ging durch Mark und Bein und wollte gar nicht aufhören. In meiner Erinnerung konnte ich meine Hände zunächst nicht von dem Draht lösen, obwohl ich sofort losließ. Das war wohl übertrieben, denn mit dem Nachlassen des Schwunges muss ja auch der Kontakt beendet worden sein. Jedenfalls zuckten mir noch minutenlang krampfartige Schmerzwellen durch den Körper, während ich gekrümmt und erstickt schreiend am Boden lag. Als ich mich schließlich wieder fing und mich umsah, war von den anderen weit und breit niemand mehr zu sehen. So grausam können Kinder selbst zueinander sein. Aber auch soviel Angst vor dem eigenen Übermut bekommen sie zuweilen.