Mutprobe

Fritz W. Franzmeyer

Mutprobe

Bei Kriegsende verbrachten Dutzende von Familien drei volle Tage und Nächte in den verlassenen Rüstungsstollen im Wittekindsberg. Aber wer kann schon noch von sich behaupten, die Höhle so zu kennen, wie sie die Steinbruchfirma Michelsohn Ende 1895 beim Bau des Denkmals verlassen musste. Ich kann es. Denn ich zählte zum Stamme der Barkhauser Sioux-Indianer. Denen gehörte die Höhle. Doch das wusste ich noch nicht, als ich in den Stamm aufgenommen wurde. Ich sollte eine Mutprobe bestehen und wurde allein und ohne Licht in die Höhle geschickt. Sie war tief und hatte ein unheimlich hohes, hallendes Gewölbe. Mit dem Herzen im Halse stolperte ich hinein. Als ich schon fast umkehren wollte, gewahrte ich ganz weit hinten vor einer Biegung einen flackernden Schein an den Felswänden. Er kam von einem verdeckten Lagerfeuer, das ich schließlich erreichte. Hinter dem Feuer saßen mit gekreuzten Beinen, gefiedertem Kopf und bemalten Gesichtern der Häuptling und ein paar Krieger. Der Häuptling stellte sich als Karl-Heinz Franzmeier heraus. Auch die Krieger waren ältere Jungens aus dem südlichen Aulhausen. Ich musste den Treueeid schwören, etwas Scharfbitteres trinken und mir mit einem Taschenmesser in den Arm ritzen. Häuptling und Krieger taten das gleiche, das Blut wurde gemischt und das Ritual mit einem „hugh“ besiegelt. Die Blutsbrüderschaft war geschlossen. Lange konnte ich das Indianerdasein nicht mehr genießen, denn bald wurde die Höhle für den Rüstungsausbau gesperrt.