Leseprobe 'Geschichten und Anekdoten'
Angezapfter Panzer
Wie man “die Schnauze voll” bekommt, wenn man Sprit aus einem amerikanischen Panzer organisieren will.
„Gegenüber der Försterwiese steht ein kaputter Panzer”, das erfuhren wir Jungen schon wenige Tage nach dem Einmarsch der Amerikaner, und schon war unsere Neugier geweckt. Tatsächlich, wenige hundert Meter hinter dem Kaiserhof lag am Hang südlich der Freiherr-vom-Stein-Straße ein amerikanischer Panzer, dem lediglich eine Kette zerschossen war. Man konnte sogar einsteigen. War das eng darin. Und all die vielen Knöpfe und Hebel! Sofort wurde alles ausprobiert. Was sollte schon passieren? Es geschah auch wirklich nichts, nur ein Knopf zeigte Wirkung: Wenn man ihn drückte, versuchte das waidwunde Ungetüm sich von der Stelle zu bewegen, doch mit nur einer Kette wurde das am Abhang immer irgendwie schief, und der Koloss rutschte wieder zurück.
Dann wurde alles genau inspiziert und nach Brauchbarem untersucht. Munition der 4,5cm-Kanone lag umher, das reizte uns kaum, aber – der Tank konnte geöffnet werden. Und mit geeignetem Werkzeug konnte man auch wohl einiges abbauen, das, wenn es auch nicht unbedingt zu gebrauchen war, uns Jungen aber sehr interessant und allemal als Tauschobjekt, also zum „Kungeln” geeignet erschien.
Zurück nach Hause, Werkzeug, Schlauch und Behälter geholt, und schon ging es frisch ans Werk. Schlauch in den Tank, das andere Ende in den Mund, dann ansaugen. Das reichte nicht, also Lunge leerpusten und kräftig saugen – und jetzt weiß ich, wie Benzin schmeckt. Der Mund war „randvoll”. Aber der Sprit lief, und wie der aussah! Rote Farbe! So was hatte es bisher nicht gegeben. Zunächst füllten wir alle Flaschen, und schließlich auch noch Patronenkästen, die sich im Panzer befanden.
Beim nächsten Mal wurde mit Schraubendreher und anderen Werkzeugen herumprobiert. Jeder hat wohl irgendein Teil vom Panzer erbeutet. Ich habe heute noch den Prismen-Einsatz aus dem Sehschlitz des Fahrers. Wie wertvoll. Jetzt kann ich um die Ecke sehen, ohne dass mich selber jemand sieht. Allerdings warte ich immer noch auf die Stunde der Bewährung dieses optischen Spezialgerätes.
Der BH von Marika Rökk
Warum ein Barkhauser Junge den BH der berühmten Künstlerin mit seinen Händen berühren durfte
Das waren noch Künstler! Stars, bewundert und verehrt: René Carol, Rudi Schuricke, Peter René Körner und der Traum vieler Männer: Marika Rökk. Jeder kannte sie, wollte sie nicht nur im Kino, sondern auch gern einmal auf der Bühne sehen, aber sie mal ganz nah zu sehen, das blieb eben für die meisten ein Traum. Als der Kaiserhof freigegeben war und den Betrieb wieder aufgenommen hatte, waren berühmte Künstler oft unbemerkt von den Barkhauser Bürgern Gäste dieses weithin bekannten Hotels. Heinz Walter und Vetter Ernst Behnke waren aber „Insider” und wussten Bescheid. Im richtigen Augenblick an der richtigen Stelle, und schon durfte man vielleicht den Koffer tragen oder eine Tür aufhalten, jedenfalls war man ganz dicht dran.
„Hinter der Tür wohnt nun Marika Rökk, der tanzende Wirbelwind mit dem ungarischen Akzent”, Heinz ging einfach mal so am Zimmer entlang, man konnte ja nie wissen …, und plötzlich öffnete sich die Tür. Nein Marika war es nicht, aber ihre Garderobiere, die den etwas verdatterten Heinz ansprach und nach einer Schneiderin fragte. Der konnte glücklich berichten, dass im Hause eine Näherin tätig sei. Und dann – es ist kaum zu glauben – drückte sie ihm den BH der großen Künstlerin in die Hand mit dem Auftrag, den abgerissenen Träger annähen zu lassen. Es ist wahr: Heinz trug den BH der von ihm so bewunderten Marika Rökk in seinen eigenen Händen, obwohl er in solchen Dingen noch völlig unkundig war. Die Reparatur wurde sofort erledigt und Heinz durfte wieder der Überbringer dieser sicherlich von ihm genau betrachteten und befühlten Stütze wunderschöner, doch gewöhnlich nur in Ansätzen zu sehenden Formen sein.
Kein Trinkgeld, doch die viel wertvollere Aussage: „Sie haben Frau Rökk einen großen Dienst erwiesen.” Das Herzklopfen und den roten Kopf hat Heinz nach eigenen glaubhaften Aussagen gern in Kauf genommen, wer kann schließlich von sich behaupten, dass der erste von ihm berührte BH der einer großen Künstlerin war. Ob der dann später noch in seinen geheimen Träumen eine Rolle gespielt hat, ist nicht überliefert.
Ein besseres Weib für Tell
Warum ein Versprecher des Tell in der Freilichtbühne eine besonders pikante Note hatte.
Heldenhaft dieser Tell, wie ihn Willi Hupe in den Aufführungen der Freilichtbühne darstellte, an zahlreichen Wochenenden, nur manchmal regnete es leider. Dann saßen die Darsteller wartend in ihrem „Vereinsheim”, das anfangs nur eine Bude war. Blick zum regenverhangenen Himmel: „Heute wird es nichts mehr.” Man musste zwar noch abwarten, konnte sich aber doch schon mit einigen Getränken trösten.
Und plötzlich scheint die Sonne. Zuschauer kommen. Der Tell wird auch heute wieder den Apfel treffen. Aber zuvor, gleich im ersten Akt, muss er den Landsmann Baumgarten retten. Er rudert ihn über den vom Gewittersturm aufgepeitschten See und riskiert dabei sein eigenes Leben. Einem Hirten trägt er auf: „Landsmann tröstet Ihr mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet”. So steht es jedenfalls im Drehbuch. Doch Willi Hupe spricht es so, wie man es schon mal im Spaß gesagt hatte, laut und deutlich: „Landsmann tröstet Ihr mein Weib, wenn mir was Besseres begegnet”. Fröhliches Entsetzen bei den Darstellern, doch ob den Zuschauern solche Gedanken nicht fremd sind? Viele haben nicht gelacht. Nicht besonders schlimm, dass Tells Ehefrau vor allen Zuschauern von den geheimen Wünschen ihres Gatten erfahren musste. Dass die aber im richtigen Leben auch Willis Ehefrau war, gerade mal vor drei Wochen geheiratet, gab allerdings dem Ganzen eine etwas pikante Note.
Durch Hupes Freud’sche Fehlleistung wird sich Walter Rommelmann als Melchthal herausgefordert gefühlt haben, mit besonders revolutionärer Inbrunst in der Rütliszene den ernsten Charakter der Aufführung zu retten. Doch auch das ging schief, denn die Mitverschworenen – ein klappriger Rentner, ein an der Schwurhand allzu deutlich erkennbar Fingeramputierter, ein motorisch und sprachlich Gestörter und ein rührend Unbeholfener – bildeten zu dem heißen Patrioten einen allzu jämmerlichen Kontrast.