Jürgen Nottmeyer
Fritz W. Franzmeyer
Ein persönlicher Nachruf auf Jürgen Nottmeyer
Am 24. März 2024 starb in Berlin hochbetagt eine Persönlichkeit, die zwar nur knapp fünf Jahre ihres Lebens in Barkhausen verbracht hat, die aber schon über ihre Familiengeschichte eng mit unserem Ort verbunden bleibt:
Dipl.-Ing. Jürgen Nottmeyer (05.12.1927 – 24.03.2024).
Nottmeyers 1821 geborener Urgroßvater Friedrich war Obersteiger, Grubenbesitzer und Eisenhüttendirektor in Barkhausen. Die Familie stammt ursprünglich aus Notthorn bei Minden-Meissen. Friedrich erbaute die Urform des jetzigen repräsentativen Malche-Gebäudes an der Portastraße (s. “Geschichte der Gastronomie” auf dieser Homepage) als Wohnhaus für sich und seine zwölfköpfige Familie. Nach Stilllegung der Friedrichshütte überließ er das Wohnhaus gegen eine Leibrente seinem Sohn Louis (auch Ludwig), der zwar von Beruf Kohlenhändler war, das Haus aber, zusammen mit seiner Frau Ottilie, zu “Nottmeyer’s Hotel” umbaute. Louis starb 1895, noch vier Jahre vor seinem Vater. Das Hotel wurde bald neu bewirtschaftet und bekam den Namen “Zur Westfälischen Pforte”. Louis’ 1860 geborener Bruder Hermann, den es beruflich ins Ruhrgebiet verschlug, war Jürgens Großvater. Dort, in Dortmund, wurde ein Jahr vor der Jahrhundertwende Jürgens Vater Fritz geboren. Er löste sich aus der familiären Hüttentradition und wurde Oberstaatsanwalt am Berliner Kammergericht.
Dort, in Lichterfelde-West, kam Jürgen zur Welt. Nach unruhigen Ausbildungsjahren im II. Weltkrieg (Königsberg, Potsdam und Klosterlausnitz im Thüringischen, wo er noch 1945 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen wurde) kam er mit Kriegsende in ein US-Auffanglager, arbeitete anschließend eine Weile in der Landwirtschaft und reiste dann aus der inzwischen entstandenen Sowjetischen Besatzungs-Zone zu Verwandten nach Barkhausen a. d. Porta. In sein Elternhaus kehrte er nicht zurück. Seine Eltern wurden aber später auf dem Alten Friedhof in Barkhausen bestattet. In Barkhausen fand er eine Bleibe auf dem Hof Münstermann/Wisselmann. 1947 machte er in Minden sein Abitur und in Barkhausen anschließend eine zweijährige Tischlerlehre. Beides, nur zeitversetzt, habe ich merkwürdigerweise mit ihm gemeinsam.
Hier auch lernte ich Jürgen 1948 kennen – in seiner Eigenschaft als Leiter des CVJM der evangelischen Kirchengemeinde. Pastor Wilhelm Westermann hatte sich des alleinstehenden jungen Mannes in besonderer Weise angenommen. Jürgen war ein anregender Gestalter von Gruppenabenden. Mehrfach begleitete er uns frisch Konfirmierte zu Freizeiten auf Langeoog und Wangerooge.
Auf dem nachstehenden Foto ist er ganz links zu sehen.
Lange währte diese enge Verbindung allerdings nicht. Denn zum Wintersemester 1949/50 brach Jürgen seine Zelte an der Porta ab, um in München, Graz und schließlich Berlin Architektur zu studieren. Vielleicht hatte ihn die Beziehung zu seiner Großtante Helene, der Schwester seines Großvaters Hermann Nottmeyer, dazu gebracht. Sie war mit dem bekannten Barkhauser Architekten Heinrich Hutze verheiratet, der u. a. die Ortskirche gebaut hat (s. ebenfalls unter “Persönlichkeiten” auf dieser Homepage).
In Berlin wurde Jürgen dann sesshaft. Da auch mir wiederum dies so ergangen ist, blieb es nicht aus, dass der Kontakt neu aufgenommen wurde. So manches Mal machte ich mit meinem Paddelboot auf seinem Grundstück Am kleinen Wannsee Station. Dann blieb wegen beiderseitig hoher beruflicher Beanspruchung Jahrzehnte lang der Faden gerissen und wurde erst im Jahre 2014 wieder aufgenommen. Allerdings nur in Form von Korrespondenz. Darin befragte ich Jürgen auch nach seiner Familiengeschichte. Anders als Robert Kauffeld, der Jürgen Nottmeyer in dessen späten Jahren in Barkhausen erlebt hat, wo er noch das einsturzgefährdete Grundstück an der Kaiserstraße besaß, auf dem sich einst der Luftschutzstollen befand und wohin Jürgen zur Veranlassung von Sicherungsmaßnahmen hatte kommen müssen, habe ich selber ihn nicht wiedergesehen.
In Berlin war Nottmeyer ein stadtbekannter Architekt. Er hat mit so bekannten Kollegen wie Hans Scharoun, Peter Poelzig und Hanns Dustmann zusammengearbeitet. Er war, um nur einiges zu nennen, in der Senatsbauverwaltung für die Errichtung des – freilich nicht von ihm entworfenen – Internationalen Congress Centrums (ICC) zuständig, gestaltete maßgeblich die Internationale Bauausstellung 1984-1987 (IBA) mit, lehrte zeitweilig an der Hochschule der Künste und war schließlich in der Szene der Stadtgestalter so gefragt, dass er 1988 sein eigenes “Projekt-Entwicklungs-Büro PEB Nottmeyer” gründete, das u. a. mit dem ebenfalls hoch renommierten Heinz Kollhoff das Konzept für die Wasserstadt Oberhavel entwickelte.
Im hohen Alter wurde es stiller um Jürgen Nottmeyer. Man sah seinen Namenszug fast unter jeder Todesanzeige für bekannte Fachkollegen. Qualvoll litt er unter der Unfähigkeit der Stadt, ein tragfähiges neues Konzept für das brach liegende ICC zu entwickeln. Dazu äußerte er sich öffentlich – was den Anlass für die Wiederaufnahme meines Kontaktes zu ihm bot. 2015 drehte der Bund Deutscher Architekten, dem Nottmeyer angehörte, einen Gesprächsfilm mit ihm, der interessante Einblicke in seine Berliner Arbeit gibt, die er im wesentlichen darin sah, aus Sicht der Senatsverwaltung den freien Wettbewerb unter den Architekten optimal für die Stadtgestaltung zu entwickeln und zu nutzen. Der Film ist auf YouTube abrufbar und auch auf CD verfügbar. Jürgen Nottmeyer hat seine Erinnerung an seine Barkhauser Zeit mir gegenüber als “sehr lebendig” und “intensiv” dargestellt. Möge dieser Nachruf dazu beitragen, den vielfältigen Kontext, in dem der Name Nottmeyer mit unserer Ortsgeschichte verbunden ist, um eine
Nuance zu erweitern.