Kaiser-Wilhelm-Denkmal

Fritz W. Franzmeyer

Zur Geschichte des Kaiser-Wilhelm-Denkmals

Als Kaiser Wilhelm I. am 9. März 1888 gestorben war, dauerte es nur elf Tage, bis der Reichstag den Kanzler aufforderte, den Bau eines repräsentativen Denkmals vorzubereiten. Überall in deutschen Landen wurde die Idee begeistert aufgegriffen. In Westfalen machten sich gleich elf Orte Hoffnung auf den Zuschlag für ein Provinzialdenkmal. Die Initiative hatte am 16. April Dortmund ergriffen. Die Stadt machte aus ihrer Vorliebe für den Berg Hohensyburg keinen Hehl. Im Raume Minden warb ein Denkmal-Komitee unter Vor­sitz des Landrats und Holzhauser Gutsbesitzers Alexander von Oheimb in ganz Norddeutschland für den Standort Porta. Dabei wurden alle emotionalen und geschichtspolitischen Register gezogen – von der sprich­wörtlichen Westfalentreue bis zur Vernachlässigung Ostwestfalens bei der Ansiedlung staatlicher Behörden, von Hermann dem Cherusker bis zum Sachsenherzog Widukind. Ganz zu schweigen von der landschaftli­chen Einmaligkeit der Westfälischen Pforte. 

Der Landtag konnte schließlich davon überzeugt werden, dass die Porta im Vergleich zum Ruhrgebiet die bessere Alternative war. Die schmollenden Dortmunder hielten sich schadlos, indem sie trotzig ihr eigenes Denkmal auf dem Hohensyberg schufen. Als praktisch denkende Kaufleute übernahmen sie später einfach den Entwurf von Professor Hubert Stier, dem Zweitplatzierten bei der Ausschreibung des Porta-Denkmals. Im Mindener Raume selber freute man sich natürlich auf ein attraktives Ausflugsziel. Am 15. März 1889 fasste der Landtag den Errichtungsbeschluss und bewilligte 500.000 Mark. Wilhelm II. gab dem ganzen sei­nen Segen. Die heimische Bevölkerung dankte durch hohe Spendenbereitschaft. Insgesamt wurden in ganz Westfalen 330.000 Mark gesammelt.

Der Wettbewerb erbrachte 58 Entwürfe. Den Zuschlag erhielt der renommierte Denkmalarchitekt Bruno Schmitz aus Berlin, der auch schon andere berühmte Monumente entworfen hatte. Die Statue wurde bei dem gebürtigen Westfalen und nun als österreichischer Staatsbürger in Wien tätigen Bildhauer Caspar von Zum­busch in Auftrag gegeben. Der Kaiser behielt ein Auge auf beiden Entwürfen. Während Zumbusch den sei­nen ohne Abstriche verwirklichen konnte, wurden Schmitz’ Pläne mehrfach geändert. Fast fünf Jahre, von 1892 bis 1896, dauerte der Bau. 

Er gab in dieser Zeit rund zweihundert Men­schen, zumeist Maurern und Steinhauern, aber auch Schmieden, Schlossern, Wege- und Gerüstbauern Ar­beit. Zeitweilig sollen über hun­dert Arbeiter gleichzeitig auf der Baustelle tätig gewesen sein.

Doch viele Aufträge können es nicht gewesen sein, die im Ort blieben. Auch die heimische Gastronomie wurde in der Bauphase enttäuscht. Denn den Generalauftrag für den Kuppelbau samt Sockel und Terrassen hatte für 450.000 Mark die Firma Becker & Groß aus Münster bekommen. Der Bau der Kaiserstraße war an eine auswärtige Firma, Clausen aus Essen, vergeben worden. Becker und Groß errichteten eine Kantine mit eigenen Unterkunftsmöglichkeiten für die Arbeiter. So konnte das Unternehmen billigere Arbeitskräfte, meist Italiener, beschäftigen – ein vorweggenommenes Stück Globalisierung mit allen unternehmerischen Vortei­len, aber auch sozialen Fragwürdigkeiten. Auch sonst war alles „in fremden Händen“: Die technische Ober­aufsicht hatte Architekt Schmitz mit seinem Berliner Stab, die praktische Bauleitung im wesentlichen ein Baurat aus Bielefeld, die Erd-, Maurer- und Steinmetzarbeiten bekam eine Firma aus Leer/Ostfriesland, die Bildhauerarbeiten gingen nach Österreich. Auch gegossen wurde die Statue dort, in der k. k. Erzgießerei Wien. Mit dem Architekten Hoffmeister war immerhin auch ein heimischer Fachmann in die örtliche Leitung eingebunden. Statt also dem heimischen Gewerbe viele Impulse zu geben, mussten im Gegenteil einige Tä­tigkeiten eingestellt werden. So wurde festgelegt, daß der Vortrieb im Steinbruchstollen unterhalb des Denk­mals zu begrenzen und der ganze Betrieb zum 1. Januar 1896 zu beenden sei. Dennoch kam man wenn schon ohne die Barkhauser Arbeiter, so doch nicht ohne die Rohstoffe des Ortes aus. Denn das Denkmal wurde ja aus Porta-Sandstein errichtet. Der wurde nun in der „Wolfsschlucht“ gebrochen und auf Schienen zum Denk­malsplatz transportiert. Doch es gab erhebliche Rückschläge. Die Kosten drohten außer Kontrolle zu geraten. 1894 brach die beauftragte Baufirma zusammen. Danach litt die Koordinierung an erheblichen Brüchen in der Bauleitung. Immer wieder mussten die Pläne kostensparend ausgedünnt werden. 1895 kam ein Bauarbei­ter zu Tode. Im selben Jahr gefährdete ein Feuer die Vollendung des Bauwerks. 
Gleichwohl wurde es unübersehbar fertig gestellt. Am 18. Oktober 1896 wurde es feierlich eingeweiht. Sogar Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich kam mit seiner Frau. Er hatte selber das Datum 18. Oktober fest­gelegt. Bedeutete ihm 1896 das Jahr der 25. Wiederkehr der Kaiserproklamation und Reichsgründung in Ver­saille, so der 18. Oktober den Geburtstag Friedrichs III. und zugleich den Tag, an dem Wilhelm I. 1861 in Königsberg zum König von Preußen gekrönt worden war. Der 18. Oktober war aber noch mehr: 

Er hatte selber das Datum 18. Oktober fest­gelegt. Bedeutete ihm 1896 das Jahr der 25. Wiederkehr der Kaiserproklamation und Reichsgründung in Ver­saille, so der 18. Oktober den Geburtstag Friedrichs III. und zugleich den Tag, an dem Wilhelm I. 1861 in Königsberg zum König von Preußen gekrönt worden war. Der 18. Oktober war aber noch mehr: der Jahres­tag der Völkerschlacht bei Leipzig, mit der 1813 die Befreiung Deutschlands von der napoleonischen Fremd­herrschaft und zugleich die Einigung der Nation begonnen hatte. Seitdem wurde dieser Tag Jahr für Jahr überall in Deutschland gefeiert.

Diese Tradition muss kennen, wer die Denkmalsweihe richtig einordnen will. Alles bereitete sich voller Erwartung darauf vor. Amtliche Bekanntmachungen unterrichteten über den geplanten Ablauf, gaben Verhal­tensmaßregeln und drohten mit Strafen bei Verstößen. Landrat Bosse erließ ein allgemeines Fahrverbot für alle Fuhrwerke auf der „Portachaussee von Minden bis zum Kaiserhofe“ zwischen 10 und 17 Uhr, auf der neuen Kaiserstraße für den ganzen Tag. Die Dampfstraßenbahn durfte von 12 ¼ bis 5 ¼ Uhr nicht verkehren. Dafür sah die Köln-Mindener Eisenbahn Sonderzüge vor. Längs der Straße wurden geschmückte Tribünen errichtet, deren Plätze für bis zu 5 Mark vermietet wurden. In der Zementwarenfabrik von W. & A. Schwart­ze wurden „Stallung und Krippen für hundert Pferde hergerichtet“. Liedertafeln und Trachtenvereine began­nen zu üben, die Feuerwehr putzte die Pumpen, Bürgerkompanien marschierten Probe, Gendarmen studier­ten ihre Sicherungsaufgaben. Die Vereine und Schulklassen inspizierten die Stellen, an denen sie sich längs des Weges mit Fahnen und Schwenktüchern aufstellen sollten. Den Barkhausern war ein Wegstreifen am Kaiserweg zugewiesen worden. Das Fräulein von Oheimb wiederholte sicher immer wieder den Knicks, den es zu machen haben wird, wenn es der Kaiserin das „prachtvolle Boukett von Marschall-Niel-Rosen“ über­reicht. Und Vaterlandsdichter Felix Dahn reimte für das „Sonntagsblatt für Minden und das Wesergebiet“:

„[…]

Heil ihm und Dank! – An dieser hehren Stätte

Wird nun sein Bild, sein Heldenbildnis ragen,

Weit in die Lande leuchten wird sein Glanz.

Doch unvergänglicher als Erz und Marmor

Ist in des treuen Volkes Brust die Liebe,

Mit der es den umschließt, der ihm gegeben

Das langersehnte Gut, der Väter Traum,

D e n  d e u t s c h e n  S t a a t !

[…]“

Am Tag der Einweihung, einem Sonntag, halten am Bahnhof Porta sechs Schnellzüge – vier mehr als üb­lich. Das Brückengeld beträgt ausnahmsweise stolze 5 Pfg. Was die Köln-Mindener Bahn an Menschenmas­sen nicht fasst, kommt per Schiff, per Dampfstraßenbahn oder  zu Fuß. Ein klarer Tag wird es nicht werden. Um 14 Uhr hält der Sonderzug des Kaisers in Minden. Majestät betritt in der Uniform des 1. Leib-Husaren-Regiments Nr. 1 (Danzig) westfälischen Boden. Die Schwadron des Westfälischen Kürassier-Regiments von Driesen Nr. 4 ist zur Begrüßung angetreten. Es sind ortskundige Begleiter. Am Denkmal, das der Konvoi ge­gen ½ 3 Uhr erreicht, hat sich mittlerweile alles eingefunden, was in der Region Rang und Namen hat. Das Aufgebot tut dem zahlreichen Berliner Gefolge des Kaisers hinreichend Ehre. Bei Ankunft des Kaiserpaares donnern vom Jakobsberge her die Kanonen herüber. Nach den ersten Begrüßungen überreicht Frl. v. Oheimb ihre Rosen. Wilhelm schreitet zunächst die Ehrenkompanie des 15. Infanterie-Regiments ab, ehe das Paar un­ter Jubelrufen den Kaiser-Pavillon betritt. Liedvorträge von Männergesangvereinen und Liedertafeln leiten zur – vom Kaiser vorab genehmigten – Begrüßungsansprache des Vorsitzenden des Provinziallandtages von Oheimb über, die er „im Namen der vielen Tausend hier um ihr geliebtes Kaiserpaar versammelten Westfa­len“ hält. Das Protokoll sieht nicht mehr als fünf Minuten dafür vor. Oheimb erinnert an den doppelten Jah­restag, würdigt Wilhelms I. Leben, nimmt aber auch Bezug auf dessen Leistungen für das Wohl der Arbeiter und den sozialen Frieden. Dann schlägt er den Bogen zum Ort des Geschehens. Mit der Beschwörung von innerem und äußerem Frieden beschließt er seine Rede.

Dies ist nun genau die Stimmung, die Musikdirektor Zuschneid mit seinen Liedertafeln braucht, um die „Gedächtnishymne“ wirksam zum Vortrag zu bringen, die er eigens für diesen Augenblick komponiert hat. Nach einem Hoch auf das Kaiserpaar und anschließendem „Heil Dir im Siegerkranz“ schreiten die Majestä­ten unter Huldigung durch 600-700 westfälische Posaunenbläser, die von Pastor Kuhlo geleitet werden, zur Besichtigung.  Wilhelm ist von der Wucht dieser Blasmusik schwer begeistert. Seine eigene Ansprache gerät ihm zu einer Mischung aus Schmeichelei und Appell: Das Denkmal sei doch ein neuer Beweis für die „sprichwörtlich gewordene Treue“ des „biederen Stammes der Westfalen ohne Unterschied der Konfession“. „Ich bin überzeugt, daß Ich in dem Moment, wo es gelten sollte, die Größe und Ehre des Vaterlandes zu ver­teidigen, Meine Westfalen mit dem Kolben in der nervigen Faust an der Spitze finden werde. Ich leere dies Glas auf das Wohl aller Westfalen. Die Provinz Westfalen: Hurrah!“

Nach diesem patriotischen Höhepunkt begibt man sich in das Zelt, wo Majestät nun Orden und Ehren verleiht, sogar an den Architekten und Bauleiter Hoffmeister aus der Porta sowie den Dirigenten Zuschneid für die Komposition seiner Festkantate „Kaiser Wilhelm der Große“.  Erneuter Kanonendonner vom Jakobs­berg beschließt die Feierstunde; um 4 Uhr ist alles vorbei. – Nicht ganz. Denn für ½ 6 Uhr hat die Provinz im Kaiserhof für 340 Gäste das Ehrenfestmahl richten lassen. Um diese Zeit ist der Sonderzug des Kaiserpaares allerdings bereits längst wieder außerhalb von Westfalenland und in Richtung Wiesbaden unterwegs. Doch die Westfalen sind nicht nur treu, sie sind auch erfinderisch. So präsidierte denn unter einem Baldachin und von Lorbeerbäumen eingefasst nicht Wilhelm selber, sondern seine Büste die Festtafel.

Heute steht das Kaiser-Wilhelm-Denkmal schon mehr als 120 Jahre. Und immer war es Gefahren ausge­setzt. Die unmittelbarste für den gesamten Kuppelbau drohte am 23. April 1946, als nachmittags um 15:30 Uhr, wie von der britischen Besatzungsmacht angeordnet, der gesamte Eingangsbereich der unter dem Denk­mal im Bergesinnern befindlichen Rüstungsbetriebe gesprengt wurde. Mensch und Tier war zuvor in einem Umkreis von 1.000 Metern evakuiert worden. Aller Verkehr ruhte. Bis nach Lerbeck und Neesen hin mussten alle Türen und Fenster offenstehen. Niemand wusste, ob die acht Tonnen Sprengstoff in den meterdicken Be­tonwänden nicht doch den gesamten Denkmalskoloss in die Tiefe reißen würden. Vom Felde aus erwartete das Dorf gebannt die Detonation. Als sie kam, drang eine riesige Rauchwolke unterhalb des Denkmals aus dem Berg, gefolgt von einem Ascheregen. Nun, es ging letztlich alles gut. Der Sprengung fiel aber immerhin ein Teil der Ringterrasse zum Opfer. Diese Wunde sollte bis in die jüngste Zeit bestehen bleiben.      

Die nachhaltigste und heimtückischste, weil schleichende Gefahr ging und geht vom Regenwasser aus, das als Schlag- und Sickerwasser Armierungen korrodieren und unter Frost Fugen zerbröseln lässt. Immer wieder reichte das Geld nur für notdürftige Reparaturen, so im Jubiläumsjahr 1996. 1997 erwies sich eine Generalsanierung als unaufschiebbar. Doch als Voraussetzung für Staatshilfe wurde ein Eigenbeitrag der Re­gion erwartet. Zur privaten Aufbringung dieser Mittel wurde eigens ein Förderverein gegründet, der unter dem Vorsitz von Kreisheimatpfleger Dr. Gerhard Franke an die 400.000 DM zusammentrug. Gegen Ende 1998 begann der erste von vier Bauabschnitten. Der letzte wurde im Herbst 2002 beendet. Die Kosten blie­ben mit 1,2 Mill. Euro (2,3 Mill. DM) unter dem Anschlag – gut preußisch, dem Gegenstand gemäß.

 

Doch  Wind, Wetter und der Zahn der Zeit griffen nicht nur den Kuppelbau an, sondern auch die Terrasse und den sie tragenden Sockelbau. Auch hier wurde eine grundlegende Sanierung unerlässlich. Dabei plante man im Jahre 2015 nun ganze Arbeit. Die alte, durch Umbauten ohnehin ihres historischen Wertes beraubte Denkmalsgaststätte war verrottet und wurde seit Jahren nicht mehr bewirtschaftet. Und das wachsende tou­ristische Interesse am Denkmal – es war inzwischen Teil einer „Straße der Monumente“ geworden – konnte nur durch rudimentäre Informationsangebote bedient werden. So schwangen sich der  Landschaftsverband Westfalen-Lippe und der Landtag im Jahre 2015 zu einer umfassenden Modernisierung der gesamten Anlage auf. Die Sanierung des Sockels wurde nicht nur verbunden mit einer Wiederherstellung seiner ursprüngli­chen rondellhaften Gestalt, sondern auch – nach Plänen des Wettbewerbssiegers Peter Bastian – der Schaf­fung eines Untergeschosses, in dem ein neuer Gastronomiebetrieb mit Panoramaaussicht ebenso Platz findet wie eine modernes, multimediales Informationszentrum. Rund 16 Mill. Euro – diesmal vier Millionen mehr als veranschlagt – wurden investiert. Am 8. Juli 2018 war festliche Eröffnung. Die alte 300 Meter entfernte Gaststätte war bereits durch einen steinernen Kiosk ersetzt worden, der Parkplatz neu gestaltet. Seit­her hat Barkhausen eine grandios wiederbelebte Attraktion – aber auch ein neues ungelöstes Verkehrspro­blem, dem selbst das neue digitale Parkleitsystem noch nicht den Garaus hat machen können. Ob in absehba­rer Zukunft eine Seilbahn diese Probleme lösen wird? Zweimal waren solche Pläne bereits fehlgeschla­gen. Vielleicht wird ja diesmal aus der Not eine Tugend gemacht.

Eine kleine Zeitreise über Jahrzehnte

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