Fritz Schmidt

Fritz W. Franzmeyer

PG Fritz Schmidt, Opfer seines eigenen fatalen Ehrgeizes

(1903-1943)

Der in Barkhausen ansässig und in einem soliden Beruf tätig gewesene, doch von 1929 an als NSDAP- und SA-Mitglied zu immer höheren, über den Ort hinausführenden Parteiämtern aufgestiegene Fritz Schmidt ist ein Paradebeispiel für die unheimliche, in ein und derselben Person verkörperte Gleichzeitigkeit von abgründigem Drang und bürgerlichem Habitus. Christoph Kreutzmüller hat sein recht kurzes aber unheilvoll-spurenreiches Leben gründlich recherchiert und im Jahrbuch 2009 der „Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins“ beschrieben. Auch in anderen zeitgeschichtlichen Untersuchungen hat Schmidt seinen – wenig rühmlichen – Platz gefunden, und er hat es im heutigen digitalen Zeitalter rasch zu einem eigenen Wikipedia-Eintrag gebracht.

In Eisbergen geboren und aufgewachsen, brach Fritz Schmidt in Rinteln eine Gymnasialausbildung ab, absolvierte im Barkhauser Fotogeschäft Zoerb eine Lehre als Fotograf, diente danach vier Jahre in Minden bei den Pionieren – wobei er am Rande bemerkt im März 1925 das Veltheimer Fährunglück überlebte – und trat 1926 die Nachfolge seines Ausbilders als Inhaber des Fotogeschäfts an, das er bis 1934 führte. Besonders in den ersten Jahren waren er und, ab 1928, seine Frau Emma voll in das Gesellschaftsleben des Dorfes integriert.

Dann begann die Parteikarriere des ehrgeizigen und organisatorisch talentierten Mannes: 1929 Schriftführer der Ortsgruppe Barkhausen, 1932 – da wohnte er schon seit zwei Jahren in Minden – Kreisleiter, ab 1933 stellvertretender Landrat – wofür er sich wohl auch durch seine effizienten antijüdischen Kampagnen in Minden unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme „qualifizierte“, 1934 Propagandachef des NSDAP-Gaus Westfalen Nord und Kreisleiter in Münster – wohin er in dieser Funktion umziehen musste, 1936 Reichstagsmitglied. Von Mitte der 30er-Jahre an hatte er auch eine Betreuungsfunktion auf den Nürnberger Reichsparteitagen inne. 1938 wurde er erst Standartenführer der SA, noch im selben Jahr in die Münchener Parteizentrale berufen und mit dem Aufbau der Organisationsstruktur der Partei im frisch besetzten Sudetenland betraut. Die Synagogen brannten noch, da wurde Schmidt als Reichsamtsleiter in die Parteispitze berufen. Dort zeichnete ihn bald der „Führer“ persönlich aus.

Schließlich wurde Fritz Schmidt, unter dem neuen Reichskommissar Arthur SeißInquart, einer von vier Generalkommissaren der Niederlande, die im Mai 1940 besetzt worden waren. Diese Funktion, die er in Abgrenzung zu den anderen Generalkommissaren speziell für die Partei wahrnahm und die der Stellung eines Staatssekretärs gleichkam, hatte Schmidt seinen Fürsprechern Goebbels und Bormann zu verdanken. Da sie in ihren Aufgaben unscharf umrissen war, nutzte der ehrgeizige und umtriebige Schmidt sie zum Ausbau seiner Machtposition und schwang sich faktisch zum NSDAP-Leiter in den Niederlanden auf. Es heißt, er habe sich im Geiste schon als Gauleiter eines hier neu zu schaffenden Gaus Westland gesehen. Damit wurde er seinem auf dem „SS-Ticket“ in die Niederlande gekommenen Kollegen Rauter und möglicherweise sogar SeißInquart selber gefährlich. Denn unter der Oberfläche spielte sich ein heftiger Machtkampf zwischen SS und Partei ab. Aber Schmidt gelang es bis 1942 gleichwohl, seine Macht dank der Partei, der SA sowie des niederländischen Ablegers der Deutschen Arbeitsfront auszubauen und zu festigen, wenn der intrigenkundige Mann wohl allmählich auch Martin Bormann unbequem zu werden begann.

In seinem Amt profilierte sich Schmidt in der kulturellen Gleichschaltung sowie als Verfolger der niederländischen Juden. Er unterstützte oder initiierte die schrittweise Steigerung von deren Diskriminierung, auch unter zunehmender Anwendung von Gewalt, bis hin zur Schaffung des Amsterdamer Ghettos, des einzigen unter Nazi-Pression entstandenen in ganz Westeuropa, wenn dies auch weniger perfekt gelang als in Polen, wo im Unterschied zur „nordischen Rasse“ der Niederländer keinerlei Rücksicht auf die nichtjüdischen Bevölkerungsteile genommen wurde. Ein mit Gewalt niedergeschlagener, massiver Unzufriedenheits- und Solidaritätsstreik niederländischer Arbeiter im Februar 1941 stärkte letztlich nur Schmidts Einfluss und die Härte seines antijüdischen Vorgehens. Noch im Juni 1942, also lange nach dem Abklingen der Unruhen, sprach er von der Notwendigkeit, die Juden vollständig zu vernichten. An den im Juli desselben Jahres beginnenden Deportationen war er aber faktisch wohl nur am Rande beteiligt.

Es wendete sich die militärische Lage, und die SS gewann nun bei den wichtigsten strategischen Entscheidungen die Oberhand. So geriet der renitente Schmidt in die Schusslinie Himmlers. Doch ob dieser auch an Schmidts baldigem Tod Schuld trägt, ist sehr fraglich. Nie wurde aufgeklärt, wie er ums Leben kam. Fest steht, dass er Ende Juni 1943 auf der Rückfahrt von der französischen Atlantikküste im verschlossenen Abteil eines Nachtzuges aus dem geöffnet vorgefundenen Fenster gestürzt sein muss. Denn seine Leiche wurde danach, nur mit einem Schlafanzug bekleidet, an der Bahnstrecke entdeckt. Hatte er sich umgebracht? War er ermordet worden? Wenn ja, von wem? Mordmotive hätte der niederländische Widerstand oder die SS gehabt. Doch der erstere hätte die Tat wohl nach dem Kriege für sich reklamiert, und die letztere hätte unauffälligere Mittel zur Kaltstellung gehabt. Hängt man der These an, hier habe jemand, der seine Felle wegschwimmen sah, Selbstmord begangen, so fragt man sich, warum er sich erst schlafen gelegt hatte. Und warum, wie behauptet wird, Blutspuren am Fenster gefunden wurden. Gleichwohl dominiert in der Forschung nach Abwägung aller Umstände die Suizid-These.

Persönlich hatte Schmidt mit seiner Berufung nach Münster Barkhausen und Minden für immer hinter sich gelassen. In Münster wurde er auch begraben. Doch er wirkte an der Porta nach. Denn es war ihm gelungen, seinen Bruder Wilhelm, bis dahin NSDAP-Ortsgruppenleiter in Eisbergen, als seinen Nachfolger im Amt des Mindener Kreisleiters zu etablieren. Über vier Jahre lang, länger als jeder andere, übte Wilhelm Schmidt es aus.