Bürgerwehr
Fritz W. Franzmeyer
Robert Kauffeld
Bürgerwehr
Viele zwangsweise verschleppte Fremdarbeiter und Kriegsgefangene waren als billige Arbeitskräfte eingesetzt worden. Nach der Kapitulation waren sie frei, und sie nutzten die Freiheit – manchmal auch, um uns etwas heimzuzahlen. Das war vielleicht nur eine kleine Minderheit, die uns aber doch sehr zu schaffen machte. Einbrüche waren an der Tagesordnung, auch bewaffnete Raubüberfälle.
Als eines Nachts bei einem solchen Überfall unser Nachbar Karl Conradi erschossen wurde, hat es einen Menschen getroffen, der dafür bekannt war, dass er keinem etwas zu Leide tat, und der auch Ausländer achtete und als Menschen behandelte.
Jetzt taten sich die wenigen Männer aus der Nachbarschaft, die noch zu Hause waren, zusammen und hielten jede Nacht abwechselnd Wache. Sie sahen schon erschreckend aus mit ihren Waffen: Hackebeilchen, Forken, Äxte usw., aber keine echten Waffen. Dazu wurden Pötte und andere Gegenstände zum Krachmachen mitgeführt. Wir konnten ruhiger schlafen.
Zur Selbsthilfe hat man auch an anderen Stellen im Kreisgebiet gegriffen und sich zumindest in einem Fall in einem Dorf im Nordwesten mit gleichen Mitteln gewehrt. So erzählt man, dass im Garten eines einsam gelegenen Bauernhofes jemand still und leise beerdigt wurde.
Zahlreiche bewaffnete Überfälle gingen auf das Konto der Bewohner der so genannte „Polendörfer“, die mit Waffengewalt Raubzüge machten und Menschen verletzten oder gar töteten.
Der in Barkhausen wohnhafte Pole Jan war als sehr brutal bekannt. Man wusste von seinen Einbrüchen, Überfällen und Körperverletzungen. Als er eines Tages zusammen mit seinem Kumpel volltrunken mit einem vermutlich gestohlenen Kleinmotorrad fuhr, verunglückten sie auf der Kreisstraße im Häverstädter Feld. Das sprach sich schnell in Barkhausen und Häverstädt herum und viele liefen zur Unfallstelle. Jan hatte beide Oberschenkel gebrochen und war inzwischen auf den Leiterwagen eines zufällig vorbeifahrenden Landwirtes gelegt worden. Jetzt sollte er die Wut der Bürger kennen lernen. Ein als nicht sehr zimperlich bekannter Barkhauser ergriff die Fußspitzen der offensichtlich recht unförmigen Beine des Verletzten und zog daran, bis Jan auf der Straße lag. Ein aus Häverstädt mit dem Fahrrad gekommener Mann konnte nur schwer davon abgehalten werden, die mitgebrachte Axt zu benutzen. Er hatte noch einige Tage vorher erste Hilfe bei Menschen geleistet, die von Jan verletzt worden waren. Schließlich wurde eine angemessene Transportmöglichkeit gefunden. Jan wurde auf eine Mistkarre gelegt und von seinem Kumpel ins Dorf gefahren. Der Bursche hat kaum einen Ton von sich gegeben. Entweder er war so hart im Nehmen oder die Volltrunkenheit hatte die Wirkung einer Narkose. Die englische Militärpolizei übernahm ihn schließlich in ihre Obhut, doch auch nicht besonders behutsam.
Es war noch ein weiteres Opfer zu beklagen, ein unschuldiges, das aber noch mit einem blauen Auge davon kam. Auch in der Siedlungsgemeinschaft auf dem Bergkamp war jede Nacht ein Bürgertrupp unterwegs, der mit Kochtöpfen, Kannen und anderem lärmerzeugenden Gerät seine Gegenwart ankündigte, Marodeure abschrecken und die Siedler beruhigen sollte. Zur Unterscheidung von Freund und Feind in der Dunkelheit war eine Parole ausgegeben. Wehe dem, der sie nicht parat hatte.
In der Siedlung wohnte auch der „alte Kunkel“. Eines Abends hatte er noch etwas zu besorgen. Es war schon dunkel, als er sich auf den Weg nach Hause machte. Auch die Bürgerwehr war unterwegs – und gewahrte ihn als verdächtige Gestalt. „Parole?!“ schallte es ihm drohend entgegen. Doch die erlösende Antwort blieb aus. Da fackelten die Wachmänner nicht lange und schlugen den vermeintlichen Räuber und Mörder zusammen. Dann zerrten sie ihn ans Licht. Betroffen erkannten sie ihren Siedlungsnachbarn. „Wie ist das möglich?“ fragte einer. Die Frage war rhetorisch, denn jeder kannte die Antwort: Der alte Kunkel war schwerhörig.