Südhang

Robert Kauffeld

Chinesenbart im Wiehengebirge

Auch Wanderungen können interessant sein, sogar für Kinder

„Raus in die schöne freie Natur“, hat die Familie beschlossen, denn es ist herrliches Sommerwetter. Dann fährt man mit dem Auto zum Wiehengebirge und vielleicht einmal nicht zur Denkmal oder zur Wittekindsburg. 
Die Kinder wollen einen Hasen sogar ein Rehkitz sehen – doch was ist sonst schon noch interessant? Es sei denn, man kann eine Wanderung interessant gestalten! Im Wiehengebirge gibt es noch immer schöne Wanderwege, auf denen man selbst an Wochenenden nur wenige Menschen trifft. Und wer genau hinschaut, kann hier vieles entdecken und sogar seine Kinder begeistern. Man könnte ein Fernglas mitnehmen, möglichst aber eine Lupe, vielleicht auch noch ein Buch, um zumindest einige Bäume bestimmen zu können. Dann geht es los.

Zum Beispiel am Kaiserhof in Barkhausen. Der gekennzeichnete Weg A 1 führt bequem und ohne Steigungen Richtung Gut Wedigenstein. Tannenweg hieß er früher im vorderen Teil, doch die Tannen wurden längst gefällt.

Hohe schlanke Buchen sind zu sehen, dann schon nach kurzer Strecke eine imposante Buche, breit und mächtig. Sie hat sich in den etwa 150 Jahren ihres Lebens frei entwickeln können. Keine Äste wurden vorzeitig entfernt. An manchen Buchenstämmen kann man oft noch erkennen, wo einmal Äste entfernt wurden. Wer genau hinsieht, entdeckt hier den „Chinesenbart“ an beiden Seiten dieser Stelle. Wenn die Furchen der Bartspitzen stark nach unten zeigen, ist der Ast sehr spät entfernt worden und noch tief ins Holz eingewachsen, was gewöhnlich den Wert mindert.

Mit offenen Augen kann man interessante Entdeckungen machen. Entlang des Weges sieht es wenig aus wie Urwald. Hier wird der Wald nicht „aufgeräumt“. Totes Holz, stehend und liegend, bietet besonders kleinen Tieren, Vögeln und Insekten idealen Unterschlupf. Unterwegs sollte man immer mal wieder zur Lupe greifen. Kleine Käfer sind, aus der Nähe betrachtet, manchmal echte Schönheiten. Selbst ihre oftmals an der Unterseite eines Blattes abgelegten Eier zeigen so ein faszinierendes Bild.

Dann vereinigt sich unser Weg mit dem Königsweg. Hier, rechts des Weges, stand einmal ein altes Försterhaus, das kurz nach dem ersten Weltkrieg abgebrannt ist. Es ist sogar ein Foto erhalten geblieben, das im Barkhauser Bildband „Als unser Omma noch klein war“, zu sehen ist. Und wer im dichten Unterholz sucht, kann noch Mauerreste entdecken. Es geht weiter auf dem Königsweg, der angelegt wurde, als König Friedrich Wilhelm IV im Jahre 1842 die Margarethen-Klus besuchte.

Es geht weiter auf dem Königsweg, der angelegt wurde, als König Friedrich Wilhelm IV im Jahre 1842 die Margarethen-Klus besuchte.

Dann sieht es aus, als ob lange Seile aus den Baumkronen zur Erde hängen. Es sind die Lianen der Waldrebe, manchmal bis zu 20 Meter lang. Clematis vitalba, der wissenschaftliche Name – und unsere Gartenclematis ist mit ihr verwandt.

An der nächsten Abzweigung geht es links weiter, an der großen Weide vorbei, Richtung „Dehmer Burg“. Am Wegesrand sind Glockenblume und Akelei schnell zu erkennen. Berührt man andere hier wachsende Pflanzen mit den Füßen, wird man plötzlich „beschossen“. Das Springkraut schleudert den reifen Samen aus den Kapseln. Mit Brennnesseln das Gesicht streicheln, das wäre eine Mutprobe, nicht aber, wenn die Pflanze zwar Blätter wie eine Brennnessel, dabei aber einen vierkantigen Stängel hat. Das ist der harmlose Waldziest. Kletten stehen hier. Böse Kinder werfen sie anderen in die Haare. Plötzlich stinkt es wie nach Aas. Die Stinkmorchel, ein weißer kerzenförmiger Pilz mit dunkler Haube, kann gewöhnlich schnell gefunden werden. Genau hinsehen: Der Geruch lockt Insekten an.

Weiter geht es, links liegt das Gut Wedigenstein, über dessen Geschichte viel zu berichten wäre. Dann steht am Waldesrand ein kleines rotes Haus, sieht richtig etwas märchenhaft aus. Nach dem Aussehen könnte es mal eine Kapelle gewesen sein, doch es hatte keine besondere Bedeutung. Kurz danach ist das Ziel der Wanderung, der alte Friedhof des Gutes Wedigenstein, erreicht. Ein schmiedeeiserner Zaun umgibt die Grabstellen. Hier wurden frühere Besitzer des Gutes beigesetzt und auch die bekannte Kunstmalerin und Schriftstellerin Ida Ströver, die 1872 in Wedigenstein geboren wurde und 1955 verstarb.

Auf dem Rückweg könnte man noch einmal die verschiedenen Bäume betrachten. Birken mit weißer Rinde kennt wohl jeder, auch die mächtigen Eichen mit dem auffälligen Stamm und den gebuchteten Blättern. Große Blätter, die sich rau anfühlen, das wird ein Ulme sein. Nach etwa drei Stunden werden die Wanderer wieder am Kaiserhof ankommen, vielleicht aber auch später, weil sie inzwischen Gefallen daran gefunden haben, die Natur einmal ganz genau zu betrachten. Zahlreiche Wege, die insbesondere von den Berg- und Heimatvereinen angelegt wurden, führten früher zum Kamm des Wiehengebirges und insbesondere zur Wittekindsburg. Sie werden inzwischen nicht mehr gepflegt und sind für den Wanderer gesperrt. Eine Zeichnung von 1966 zeigt diese einst geliebten Wege.